Wandertouren
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Wallfahrt: Reisen auf dem Jakobsweg

Der Jakobsweg zieht schon seit Jahrhunderten Pilger aus aller Welt an. Neben religiösen Motivationen sind dort viele auf Sinnsuche. Doch ist der Ruf des Weges als spirituelle Erfahrung gerechtfertigt oder handelt es sich vielmehr um cleveres Marketing der spanischen Touristenbüros? Was ihr über den Camino wissen müsst, und warum sich der Weg auf jeden Fall lohnt, habe ich euch hier zusammengefasst.

Der Jakobsweg ist alt. Wahrscheinlich gibt es in Westeuropa kaum Wanderrouten, die auf eine ähnliche Geschichte zurückblicken können. Immerhin existiert der Camino Frances, wie die Spanier ihn nennen, schon seit sich die ersten Christen im 11. Jahrhundert aufmachten, um das (vermeintliche) Grab des Apostels Paulus in Santiago de Compostela zu sehen. Diese uralte Tradition macht auch heute noch einen Teil des Reizes aus, den Weg zu begehen, der von der spanisch-französischen Grenze zu dem Wallfahrtsort nahe der Atlantikküste führt. Dabei hat der religiöse Hintergrund allerdings an Bedeutung verloren. Heute sind es auch und vor allem die meditativen Aspekte der Wanderung, die Menschen aus der ganzen Welt nach Nordspanien ziehen. Neben dem Buch „Ich bin dann mal weg“ des deutschen Comedians Hape Kerkeling hat auch der Film „The Way“ zu dieser Wahrnehmung des Weges beigetragen. Immerhin wird der Camino in beiden Medien als meditative Erfahrung beschrieben, als Reise ins Selbst, an deren Ende die Protagonisten Einsichten über sich, ihr Leben sowie ihre Ziele gewinnen und gestärkt aus der Erfahrung hervorgehen.

Wegen genau dieser Art von Erzählung habe ich den Jakobsweg in der Vergangenheit mit Skepsis betrachtet und ihn mehr als weiteren Trend der Yoga-Meditations-Feelgood-Bubble wahrgenommen, die sich seit einigen Jahren steigender Beliebtheit erfreut. Ist neben dem ganzen Hype noch Platz für Sinnsuche auf dem Jakobsweg? Ja, wie sich herausstellt. Doch dazu später mehr.

Jakobsweg: Von den Pyrenäen an den Atlantik

Was mich schließlich überzeugte, den Weg zu gehen, ist die Route an sich: Der Camino Frances folgt auf fast 800 Kilometern der mittelalterlichen Hauptverkehrsachse Nordspaniens, die durch fünf Regionen und schließlich zum Atlantik führt. Landschaftlich ist hierbei einige Abwechslung geboten. Von dem französischen Städtchen Saint-Jean-Pied-de-Port, das sich einige Kilometer vor der spanischen Grenze befindet, geht es über die letzten Ausläufer der Pyrenäen und in das grüne Navarra mit seinen historischen Hügeldörfern. Anschließend führt der Jakobsweg nach Kastilien und in die Weiten der kargen Meseta-Hochebene, bis die autonome Gemeinschaft Galicien und schließlich ihre Hauptstadt Santiago de Compostela erreicht ist. Die prächtige Kathedrale mit dem Grab des Jüngers stellt einen Endpunkt der Wanderung dar. Pilger mit weiteren Ambitionen können von der Hauptstadt anschließend ins 90 Kilometer entfernte Kap Finisterre aufbrechen, das als westlichster Punkt des europäischen Festlands für die Pilger der Vergangenheit das „Ende der Welt“ darstellte.

Die Route unterscheidet sich schon aufgrund ihrer Organisation von anderen Wanderwegen. Immerhin gibt es hier eigentlich keine Wanderer, sondern nur Pilger (spanisch: Peregrinos), die sich mit einem sogenannten Pilgerpass ausweisen müssen. Der ist wichtig, denn ohne gültiges Dokument besteht kein Anspruch auf eine Unterbringung im Großteil der Herbergen auf dem Jakobsweg. Außerdem funktioniert er als Identifikationsmöglichkeit gegenüber dem Pilgerbüro in Santiago. Um die begehrte Pilgerurkunde, die sogenannte Compostela, zu erhalten, muss der eigene Weg zum Wallfahrtsort lückenlos dokumentiert werden. Das geschieht mittels Stempeln, die an jeder Herberge, Bar oder Kirche auf dem Weg ausliegen.

Unterkunftsmöglichkeiten sind auf dem Jakobsweg zuhauf vorhanden, sodass jeder Pilger sich seine Etappen selbst einteilen und nach individuellem Tempo wandern kann. Die offizielle Website rät zu 33 Etappen, dieser Richtwert kann natürlich auch nach Belieben über- oder unterschritten werden. Zum Beispiel habe ich es mit einem Durchschnitt von 35 Kilometern pro Tag in 22 Tagen nach Santiago geschafft und in drei zusätzlichen Tagen den Weg nach Kap Finisterre zurückgelegt. Allerdings hatte ich auch ein wenig Zeitdruck, da mein Urlaub zur Neige ging, von daher bin ich nicht unbedingt ein Beispiel, an dem ihr euch orientieren solltet.

Folgt der Muschel: Orientierung auf dem Jakobsweg

„Du kannst dich auf dem Camino verlaufen, dafür musst du dich aber schon ziemlich anstrengen“, so eine alte Pilgerweisheit. Diese Einschätzung ist durchaus angemessen, denn die straffe Organisation auf dem Jakobsweg erstreckt sich auch auf auf die Orientierung. So ist die Strecke durchgehend mit Wegweisern und Meilensteinen versehen, die alle eine Kilometerangabe und den charakteristischen gelben Pfeil aufweisen. Dabei ist App-Unterstützung eigentlich nicht mehr nötig. Aus Recherchezwecken hatte ich aber zusätzlich noch die Buen Camino-App installiert, die ich euch trotzdem empfehlen kann. Für Notfälle habt ihr so Kartenmaterial und GPS-Ortung und könnt euch immer versichern, auf dem richtigen Weg zu sein, wenn die Wegweiser doch mal ausbleiben sollten (was zugegebenermaßen nicht oft passiert). Viel wichtiger sind dagegen die zusätzlichen Features, die das Programm aufweist, wie ein praktischer Etappenplaner, Hintergrundinformationen und ein Verzeichnis (fast) aller Unterkünfte auf dem Weg.

Herbergen und Unterbringung auf dem Jakobsweg

Im Gegensatz zu Bergtouren, auf denen es nur die eine Hütte als Übernachtungsmöglichkeit gibt, habt ihr auf dem Jakobsweg geradezu die Qual der Wahl: Neben normalen Hotels erfolgt die Unterbringung vor Ort in Herbergen (spanisch: Albergue). Diese sind meistens deutlich günstiger als Hotels, wobei es allerdings auch Abstufungen gibt. Kommunale Herbergen sind in der Regel die günstigsten und bieten ein Bett im Schlafsaal schon ab 10-15 €. Bei anderen, privaten Herbergen geht der Preis schnell auf die 40 € hoch. Hier bietet die App eine gute Übersicht, damit ihr nicht zuviel zahlt. Ebenfalls praktisch: In allen Übernachtungsmöglichkeiten gibt es als Verpflegung ein Pilger-Abendessen, das meistens 10-12 € kostet und diesen Preis meiner Erfahrung nach auch immer wert ist.

Bei den spendengeführten Unterbringungen, sogenannten Donativos geht es dagegen etwas anders zu. Wie der Name schon vermuten lässt, gibt es hier keine festen Preise, sondern jeder spendet, soviel er will (oder kann). Neben diesem Unterschied sind die Donativos ebenfalls an die Herbergen der Vergangenheit angelehnt, bevor Kommerzialisierung und Erlebnisindustrie den Camino ins touristischere verändert haben. Daher sind sie vorwiegend etwas rustikaler mit weniger Fokus auf Komfort, haben dafür aber auch einen gewissen Charme. Die Gastgeber sind meistens Pilger, die dort für einen bestimmten Zeitraum freiwillig aushelfen und viel über den Camino berichten können. Oftmals kümmern sich diese auch gemeinsam mit den Gästen um das Abendessen und den Abwasch. In dieser Klassenfahrts-Atmosphäre bestehen jede Menge Gelegenheiten, mehr über den Camino zu lernen und die eigenen Mitwanderer besser kennenzulernen.

Gepäck und Kosten

Aufgrund dieser Vielfalt an Möglichkeiten gehen die Kosten auf dem Camino sehr auseinander – je nachdem, ob Hotel oder Herberge, Restaurant oder Verpflegung aus dem Supermarkt für den Tag gewählt werden. Für Pilger, die sich im Voraus über die Preisstrukturen der kommenden Übernachtungsmöglichkeiten informieren und auch sonst sparsam verhalten, ist es möglich, den Tag mit 30 € zu bestreiten. Ansonsten könnt ihr mit 50 € pro Tag rechnen. Allerdings muss hier dazugesagt werden, dass es sich auch bei der sparsamen Herangehensweise lohnt, etwas Geld für die ein oder andere Attraktion abseits des Weges einzuplanen. Immerhin gibt es hier neben interessanten Museen auch ein paar echt gute Restaurants. Das Extrabudget lohnt sich auch in Bezug auf die Hotels, denn die Schlafsäle der Herbergen haben nicht nur Vorteile. Bei mir war nach der Hälfte des Weges der Punkt erreicht, an dem ich mich in die Ruhe eines Einzelzimmers geflüchtet habe, da ich das Geschnarche meiner Mitwanderer nicht mehr ausgehalten habe.

Beim Gepäck gestaltet sich der Camino ebenso unkompliziert wie bei der Orientierung. Hier wird keine besondere Ausrüstung gebraucht und auch Packlisten findet ihr im Internet zuhauf. Dabei lohnt es sich, genau zu überlegen, was ihr wirklich braucht. Ich bin ohne lang nachzudenken mit meiner Standardausrüstung aufgebrochen, die ich mir für meine Alpenquerung zusammengestellt habe. Tatsächlich dachte ich, sehr reduziert unterwegs zu sein, hätte jedoch einiges Gepäck zurückschicken können. Die erfahreneren Jakobsweg-Pilger, die ich getroffen habe, waren dagegen mehrheitlich mit 20-Liter-Rucksäcken unterwegs und beharrten darauf, nichts zu vermissen. Dies wird zusätzlich noch davon begünstigt, das (verglichen mit Bergtouren) kaum Verpflegung oder Wasser mitgenommen werden muss. Immerhin gibt es eine Vielzahl an Cafés, Restaurants, Supermärkten und Brunnen, die am Wegesrand zu finden sind.

Der Reiz des Jakobsweges: Zufällige Begegnungen und absolute Einsamkeit

Doch nun zur wichtigsten Frage: Ist der Camino die meditative Reise zu sich selbst, wie es in den Medien immer behauptet wird? Wahrscheinlich kann das nur jeder Pilger für sich beantworten, deswegen kommt hier ein Erklärungsversuch ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Auch wenn meine Zeit auf dem Jakobsweg wenig mit irgendwelchen hollywoodesken Seelenreisen zu tun hatte, war sie doch sehr intensiv. Intensiver sogar, als andere Fernwanderungen, die ich gegangen bin. Das ist auf den ersten Blick paradox, denn der Weg stellt für geübte Wanderer keine konditionelle Herausforderung dar. Aber genau durch die Routine des Jakobsweges kommt über zahlreiche Kilometer ein selbstvergessener Zustand auf, während kaum steile Anstiege vorhanden sind, die aus der Erfahrung reißen könnten. So laden die längeren, ereignislosen Etappen des Weges zum Nachdenken ein. Denn wenn das Podcasts hören irgendwann langweilig wird, bleibt nur noch die Beschäftigung mit den eigenen Gedanken. Dazu kommt noch ein Wechselspiel zwischen zufälligen Begegnungen und Gesprächen, unterbrochen von Episoden absoluter Abgeschiedenheit.

Klingt erstmal widersprüchlich, aber der einzelne Pilger ist nie wirklich allein. Selbst in den menschenleersten Abschnitten des Weges sind Wanderer aus aller Welt nicht weit. Durch den Ruf der Route pilgern auch überdurchschnittlich viele Menschen, die mit den großen Fragen des Lebens ringen. Personen, die jemanden oder etwas verloren haben, die vor großen Entscheidungen stehen, oder noch ihren Platz im Leben finden müssen. So entstehen immer wieder Gespräche, die Anlass zum Nachdenken geben. Dazu kommen auch noch die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Hintergründe der Pilger. Unter den Menschen, mit denen ich mich auf dem Weg ausgetauscht habe, waren bspw. ein amerikanischer Schüler, ein schweizer Manager, ein israelischer Exsoldat und ein französischer Landwirt. Alle mit ihren eigenen Fragen und alle mit einzigartigen Perspektiven auf die Welt, mit denen ich in meinem Alltag nicht in Kontakt gekommen wäre. Den esoterischen Camino-Bullshit beiseite kann ich wirklich sagen, dass ich mich noch nie so verbunden mit der Welt gefühlt habe, wie auf dem Jakobsweg.

Doch trotz vieler Kontakte gibt es auch nicht wenige kilometerlange Routen durch die Einöde, in denen man als Pilger komplett allein ist und Zeit hat, das Erlebte oder die eigenen Fragen zu reflektieren, die einen umtreiben. Und es sind die nachdenklichen Momente, weit weg vom eigenen Alltag, wo der Camino seine ganz besondere Anziehungskraft ausspielt.

Irgendwo hat die Yoga-Meditations-Feelgood-Bubble also doch recht.

Seid ihr auch schon auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen und habt noch etwas zu ergänzen? Dann schreibt’s mir in die Kommentare.

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