Ich mag Wandern. Den argwöhnischen Beobachter verwundert das vermutlich nicht, denn das Umherziehen an der frischen Luft ist unter der Zielgruppe von 20-30 Jahren gerade beliebt wie seit langem nicht mehr. Einzelne Wirtschaftsmagazine scherzten schon, dass die Wanderlobby ihr bestehendes Imageproblem elegant gelöst hat: Wo die Generation Y beim Stichwort „Wandern“ früher nur genervt abwinkte, stürmte sie wie verrückt in die Geschäfte, als die Einzelhändler ihre entsprechenden Waren plötzlich unter dem Schlagwort: „Outdoor“ bewarben.
Zugegeben, Wandern ist in den letzten Jahren trendy geworden, was den größeren Fokus auf das Thema irgendwie erklärt. Aber im Gegensatz zu Fidget Spinnern und Aktivkohle hat das m.M.n. andere Gründe als ein paar Influencer. Ein paar dieser Faktoren möchte ich in diesem Beitrag auf den Grund gehen und mein Hobby in seine einzelnen Elemente aufspalten und analysieren. An dieser Stelle könnte natürlich auch eine epische Abhandlung über die Schönheit der Natur gehalten werden, der man unterwegs so nah wie sonst nie ist. Könnte man machen, ich glaube aber, dass es einen größeren Mehrwert darstellt, auf Aspekte einzugehen, die sonst vielleicht nicht mit dem Wandern in Verbindung gebracht werden, mir aber auf meinen Touren immer wieder begegnen.
Von Meditation und Thunfischnudeln
Ein Thema, das es sogar verhältnismäßig oft in die Medien schafft, sind die meditativen Eigenschaften einer Wanderung. So hippiemäßig diese Aussage jetzt auch klingen mag, sind doch einige Überschneidungen präsent. Wo man bei der Meditation in sich gehen und an nichts denken soll, werden Wanderer manchmal geradezu gezwungen, die eigenen Gedanken zu limitieren. Oftmals können auf dem Wanderweg aufgrund von mühsamem Weg, schwerem Gepäck und der allgemeinen Anstrengung nur Gedanken für den nächsten Schritt, den nächsten Schluck Wasser oder die nächste Pause aufgebracht werden. Auch kann der Anstrengung hier nicht aus dem Weg gegangen werden. Man muss die Herausforderungen vor sich einfach durchstehen und ist deshalb ganz auf die Sache fokussiert.
Kontrastiert wird das Ganze von den Phasen, in denen die Mühen des Tages gemeistert wurden und man psychisch wie physisch ein wenig durchatmen kann. In der Tat ist es sehr belohnend, nach einem anstrengenden Aufstieg auf dem Gipfel eines Berges zu stehen und die Aussicht zu genießen oder nach einem stürmischen Tag in eine Berghütte anzukommen, in der die heiße Schokolade schon bereitsteht. Hier fallen alle Belastung und aller Fokus vom Wanderer ab und man kann seinen Gedanken die Möglichkeit geben, zu kreisen.
Fernab von allen Ablenkungen, die die Technik bietet, betrachtet man dabei das eigene Leben aus einem anderen Blickwinkel und überlegt, was man verbessern könnte. Ich habe mich während meiner Zeit auf Fernwanderwegen oft dabei ertappt, wie ich mein Leben ab dem Zeitpunkt des Endes der Wanderung durchgeplant habe. Was mache ich als erstes, wenn ich hier raus bin? Welche Pläne gehe ich als nächstes an? Obwohl ich diese Pläne nicht immer konsequent durchgezogen habe, ist es sehr beruhigend sich so von seinem Leben distanzieren und mit einer gewissen Nüchternheit auf die einzelnen Projekte blicken zu können, mit denen sonst der Lebensunterhalt bestritten wird.
„After a day’s walk, everything has twice its usual value.“
G. M. Trevelyan
Mit dieser Nüchternheit kommt auch eine andere Sicht auf Materielles daher. Selbst als trivial wahrgenommene Gegenstände fühlen sich nach einem anstrengenden Tag auf dem Trail gut und wertig an. Eine Wanderbekanntschaft berichtete mir nach einem Tag, der quasi nur aus einem einzigen Regenschauer bestand, dass er vorher nicht zu schätzen wusste, wie kostbar eine gute Regenhülle für den eigenen Rucksack ist. Aber auch Essen wird plötzlich mit anderen Augen betrachtet. So erzählte mir ein Freund nach einem gemeinsamen Wanderurlaub, wie sehr er sich jeden Tag auf sein Abendessen gefreut hatte, das aus den relativ dürftigen Zutaten Nudeln, Ketchup und Thunfisch bestand (Uncoole Kombo, aber dazu in späteren Artikeln mehr).
Die Freude der wenigen Dinge
Wandern gestaltet sich darüber hinaus sehr übersichtlich. Wo man für andere Hobbies viel investieren muss, muss für eine 1-Tages Wandertour nur entsprechendes Schuhwerk und eine Regenjacke eingeplant werden. Und wenn für eine Fernwanderung nur mitgenommen wird, was jeden Tag auch 20 Kilometer getragen werden kann, liegt es in der Natur der Sache, dass man weniger Gegenstände um sich herum hat, als sonst. (Natürlich gibt es auch Services, bei denen man sich sein Gepäck hinterherfahren lässt und nur mit einem Daypack wandern geht, die werden hier aber nicht berücksichtigt.)
Wandern, insbesondere Fernwandern, ist durch die reduzierte Möglichkeit, Dinge mitzunehmen sehr mit dem Minimalismus verbunden, und bietet wie dieser ein Gegenangebot gegen den Materialismus und eine immer komplexer werdende Welt. Alles Unnötige wird hier abgelehnt und als Verschwendung betrachtet.
Ähnlich wie die Minimalisten die Anzahl der Dinge in ihrem Leben evaluieren, evaluiert der Wanderer vor jeder Route welche Dinge essentiell für sein (Über)Leben in den kommenden Tagen sind. Wie viel ist zu viel Gewicht? Was braucht er wirklich? Wer einen Einstieg in den Minimalismus sucht, kann auch eine Packliste für eine mehrtägige Wanderung erstellen und hat danach eine gute Übersicht, wie klein das eigene Leben reduziert werden kann. Ich war auch einigermaßen erstaunt, wie weit man mit einem zehn Kilo schweren Rucksack kommt.
Jetzt stellte sich bei manchen vielleicht die Frage: Das ist ja ganz nett, aber welchen Mehrwert hat so eine Reduzierung denn? Wie oben schon beschrieben, merkt man so, was wirklich essentiell und was nur „Füller“ ist. Ähnlich der oben genannten Nudeln mit Ketchup werden selbst einfache Dinge plötzlich wertiger, da man ihnen einen konkreten Nutzen im eigenen Leben zuordnen kann. Auch wandeln sich manche Dinge auf einmal zu angenehmen, aber grundsätzlich unnötigen Luxusgegenständen. Der Verlust eines Ebook-Readers wäre auf einer Wanderung fernab der Zivilisation tragisch, aber verschmerzbar, wohingegen der Verlust eines Taschenmessers mit einer mittelschweren Katastrophe gleichzusetzen wäre, da alle Dosensuppen in Zukunft mit Steinen aufgeschlagen werden müssten.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Reiz des Wanderns sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt. Zusätzlich zur atemberaubenden Natur konnte ich mich auf allen meinen Touren auch immer an einer gewissen Komplexitätsreduzierung erfreuen. Wo ich im Alltag mehrere Projekte jonglieren musste, konnte ich mich hier ohne große Ablenkungen auf eine Sache konzentrieren. Dieser Fokus ist es letztendlich, der mich immer wieder auf den Trail zurückzieht.
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und warum wandert ihr?