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MYOG – Eine Einführung

Auf Outdoor-Blogs und entsprechenden Foren ist in den letzten Jahren ein Schlagwort nach oben gespült worden: MYOG. Was erstmal nach einem Schuhschrank von IKEA klingt, entpuppt sich als Akronym für den sperrigen Slogan „Make Your Own Gear“(Stelle deine eigene Ausrüstung her). Unter diesem Motto haben sich im Internet zahlreiche Communitys gebildet und vernetzt, die sich intensiv mit den Möglichkeiten auseinandersetzen, Ausrüstung für den nächsten Wandertrip an der heimischen Nähmaschine herzustellen. In diesem Artikel werde ich einen kleinen Ausblick auf die Geschichte und Philosophie der MYOG-Bewegung eingehen und Interessierten ein paar Tipps und Links an die Hand geben, um selbst aktiv zu werden.

Ein kleiner Geschichtsausflug

Trotz des trendy wirkenden Schlagworts ist MYOG aber keine Erscheinung des Internetzeitalters, sondern ein Thema, das die internationale Wandercommunity schon seit den 80er Jahren beschäftigt. Aufgrund der etwas lückenhaften Dokumentation ist es schwierig hier einen definitiven Anfangspunkt zu nennen. Ein großer Faktor war aber der US-amerikanische Kletterer Ray Jardine. Unzufrieden mit den existierenden Rucksäcken, die nach dem großen Wanderboom in den USA marktführend waren, designte er seine eigenen und reduzierte seine sonstige Ausrüstung um eine geringere Packlast zu erreichen.

Jardines Experiment wird von vielen Beobachtern als die Geburtstunde des Ultralightwanderns angesehen, sollte jedoch auch prägend für das Thema dieses Artikels sein. Denn er erreichte bei seinem Rucksack allein durch eine geschickte Materialwahl und dessen Verarbeitung ein geringeres Gesamtgewicht und testete seine Erfindungen ausgiebig. Dies führte schließlich dazu, dass er den 4279 Kilometer langen Pacific Crest Trail mit selbstgenähter Ausrüstung in einer deutlich kürzeren Zeit als vorgesehen absolvierte. Seine Erfahrungen veröffentlichte Jardine schließlich in dem Buch Beyond Backpacking (heutige Auflage unter dem Titel Trail Life). Im Buch stellte er Anleitungen und Instruktionen bereit und forderte seine Leser nachdrücklich auf, ebenfalls mit dem Produzieren der eigenen Ausrüstung anzufangen. Die herkömmlichen Produkte seien dagegen keine Option, da diese zu schwer, zu generisch, zu teuer und schließlich zu kommerziell seien, um damit zu wandern.

Mehrere kommerzielle Rucksäcke die von Jardine kritisiert werden
Kommerzielle Rucksäcke. Geht’s auch leichter?

Zwar mag diese Kritik in Jardines Tagen noch aktuell gewesen sein, als Rucksäcke noch aus unförmigen Stoffsäcken bestanden, die auf großen Alugestellen durch die Wildnis wandelten. Jedoch beobachtete die US-amerikanische Outdoorindustrie den neuen Ultralight-Markt mit Interesse und sollte in den Jahrzehnten nach der Veröffentlichung von Beyond Backpacking zahlreiche ähnliche Produkte entwerfen. Heutzutage hat so gut wie jeder ernstzunehmende Rucksackproduzent eine Ultralight-Abteilung, sodass es eine große Anzahl an Möglichkeiten für die nächste Reise gibt. Trotz dessen ist MYOG bei weitem kein überholtes Konzept und bietet für handwerklich begabte oder experimentierfreudige Oudoorenthusiasten einige Vorteile:

  • Geringere Kosten: MYOG-Projekte sind logischerweise günstiger als kommerzielle Produkte, da hier nur der Materialpreis bezahlt werden muss
  • Modifizierbarkeit: Sind die Basics erstmal gemeistert, kann jedes Projekt und auch bestehende Ausrüstung nach den eigenen Vorstellungen modifiziert werden
  • Upcycling: Mit den entsprechenden Fähigkeiten kann man ungenutzte (d.h. günstige) Materialien zu Trekkingausrüstung upcyclen. Meine bisherigen Upcycling-Projekte können dem nächsten Bild entnommen werden
  • Das Glück des Könnens: Handwerklichen Projekten im allgemeinen wird nachgesagt, dass sie sehr erfüllend seien und dabei sind MYOG-Projekte keine Ausnahme
Drei Packsäcke, die ich selbst genäht habe und die Ergebnisse zweigen, die man mit MYOG erzielen kann
Meine bisherigen MYOG-Projekte: Die beiden Packsäcke habe ich aus einer alten Zeltplane genäht. Die vordere Tasche war mal Teil eines Seesacks und ist jetzt eine nützliche Aufbewahrungsmöglichkeit für meine Regenhose.

Was kann mit MYOG-Anleitungen hergestellt werden?

Kurz gesagt: Alles. Egal ob Kocher, Daunenquilts oder ganze Trekkingrucksäcke. Wenn ihr es euch vorstellen könnt, gibt es irgendwo im Internet ein HowTo-Video darüber. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich hierbei größtenteils um textilbasierte Projekte handelt (Rucksäcke, Zelte etc.) die an der heimischen Nähmaschine entstehen. Hier müssen manchmal zwar Einschränkungen bei der Konstruktion gemacht werden, z.B. bei Polsterungssystemen von Rucksäcken, die nicht so einfach hergestellt werden können. Da bei solchen Projekten sowieso ein Ultralight-Gedanke vorherrscht, werden solche Einbußen in Kauf genommen um die Gesamtlast noch weiter zu drücken.

Zugegeben, die Vorstellung, mit eigener, potenziell fehleranfälliger, Ausrüstung in die Wildnis zu ziehen, fand ich am Anfang etwas gruselig. Bevor ich mit dieser Community in Kontakt gekommen bin, wäre es mir wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen, mir selber etwas zu bauen. So lange, bis ich mich ein wenig genauer mit dem Thema beschäftigt und von zahlreichen Erfolgsstorys gelesen habe.

Das Internet ist ein wahrer Quell an Erlebnisberichten, Tutorials und Schnittmustern, die selbst Laien fundierte Anweisungen an die Hand geben, um die eigenen Trekkingträume wahr werden zu lassen. Hier finden sich auch genug kleinere Projekte, mit denen Einsteiger sich die entsprechenden Fähigkeiten aneignen können, um größere Pläne umzusetzen.

Was braucht man um mit MYOG anzufangen?

Eigentlich nur Nähmaterialien und Enthusiasmus. Eine Nähmaschine ist natürlich sehr praktisch, aber wenn man gerade keine zur Hand hat, ist das aber auch kein Problem, wie das Beispiel im Video zeigt: Der junge Mann hat hier einen kompletten Rucksack aus alten IKEA-Taschen von Hand genäht (Auch ein gutes Bespiel für die Upcyclingmöglichkeiten, die MYOG bietet).


Ganz ohne Hintergrundkenntnisse sollte man allerdings nicht loslegen, da improvisierte Näharbeiten sehr schnell in Frust ausarten können. Doch woher Infos nehmen? Trotz Ray Jardines literarischem Enthusiasmus gibt es zum Veröffentlichungszeitraum dieses Textes relativ wenig Bücher, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Alle Titel, die ich finden konnte, sind interessanterweise noch vor Jardines Beyond Backpacking erschienen. Allerdings raten selbst MYOG-Autoren der ersten Stunde mittlerweile vom Kauf ihrer Veröffentlichungen ab und bezeichnen das Internet als bessere Informationsquelle.

Tatsächlich finden sich hier viele Inspirationen und Anleitungen für eigene MYOG-Projekte. Bestimmte Suchanfragen sind aber immer mit viel Rechercheaufwand verbunden, da die internationale Community auf zahlreiche Blogs, Foren und Websites aufgeteilt ist. Hier alle aufzuzählen würde daher den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber zumindest einen kleinen Ausblick möchte ich hier zur Verfügung stellen.

  • Zuerst zu nennen wäre Extremtextil.de, die gleich mehrere Funktionen für ambitionierte MYOG-Anhänger bietet. Zum einen können diverse Stoffe und Rucksackteile bei der Firma aus Berlin bestellt werden, zum anderen bietet die Website Tipps zur Verarbeitung verschiedenster Stoffe und eine Projektgalerie.
  • Ebenfalls erwähnenswert ist xfoil.shop, wo ihr euch mit Groundsheets und Outdoor-Folien eindecken könnt.
  • Auf Outdoorseiten.de gibt es dagegen eine große Auswahl an frei verfügbaren Schnittmustern. Einige der Links sind leider nicht mehr aktuell, dennoch ist die Seite definitv einen Besuch wert.
  • Auf dem englischsprachigen Backpackinglight-Forum stellen zahlreiche Wanderer ihre Projekte vor und bieten wertvolle Ratschläge für Anfänger, die nicht weiterkommen.

Den offensichtlichsten Tipp habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben, denn auf diesem Blog werden in Zukunft einige MYOG-Projekte veröffentlicht.

Aber jetzt seid erstmal ihr gefragt: Seid ihr auch in der MYOG-Community aktiv oder habt ihr schon ein paar Projekte verwirklicht? Lasst es mich in den Kommentaren wissen.

5 Kommentare

  1. MaxiMaus sagt

    Der Beitrag fasst das gut zusammen. Ich selber bastele mir inzwischen viel selber, habe gerade auch meinen ersten Quilt genäht 🙂 Zu den wichtigen Materialquellen würde ich auf jeden Fall noch die ultraleichten Zeltunterlagen von xfoil.shop zählen, da sich damit auch perfekt andere Projekte realisieren lassen, vor allem Tarps und Tarptents. Habe mir auch einen Pumpsack daraus gebastelt, das Zeug ist ziemlich vielseitig.

    • Tim sagt

      Hallo MaxiMaus,
      vielen Dank für das Feedback und den Tipp. Habe die Linksammlung gleich mal um Xfoil.shop erweitert.

  2. Ewa sagt

    Es ist ein wahnsinnig interessantes Thema, Tim! Ich kenne die Osprey-Rucksäcke, die in dem Video-Beitrag erwähnt wurden, da ich bei einer Firma tätig bin, die die Distribution und Marketing macht. Die sind tatsächlich sauteuer. Es ist allerdings eine tolle Sache, zu niedrigen Kosten einen tollen Wander-Rucksack selber zu basteln. Ich finde das IKEA-Exemplar höchst ansprechend.

  3. Kevin sagt

    Ein wirklich toller Beitrag. Ich bin gerade dabei meine Ausrüstung zu optimieren, da diese alle andere als (ultra)leicht ist. Dabei bin ich auf verschiedene Materialien gestoßen und in diversen Foren auch auf Selbstnäh-Projekte – super spannend. Mit „MYOG“ konnte ich erstmal gar nichts anfangen. Der Beitrag hier hat dann Licht ins Dunkle gebracht. Jetzt bin ich sehr motiviert ein paar Dinge selbst zu testen, weil es einiges an Ausrüstung, welche mir im Kopf vorschwebt, nicht zu kaufen gibt oder nur zu schwer bzw. sehr schlechter Preis-Leistung.

    • Tim sagt

      Hallo Kevin, vielen Dank für das Feedback. Freut mich, dass ich helfen konnte. Ich schaue auch gerade nach meinen nächsten MYOG-Projekten. Finde gerade die Projekte im Fahrrad-Bereich besonders interessant, da ich für den Sommer einige Touren geplant habe.

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